„Change geht anders“.
Interview
Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden des Fachverbandes Change Management, Hans-Werner Bormann. Der Fachverband Change Management im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) feiert 2015 sein zehnjähriges Bestehen. processline-Geschäftsführerin Jennifer Reckow engagiert sich als Mitglied des Vorstands im Fachverband. Vorstandsvorsitzender ist der Wiesbadener Unternehmensberater Hans-Werner Bormann. Im Interview mit der Newsline gibt er eine Standortbestimmung und blickt auf die Herausforderungen im Chance Management – und er geht die Kritik ein, Organisationsveränderungsprojekte seien oft nicht wirtschaftlich.
Herr Bormann, warum brauchen Unternehmen Change Management?
Hans-Werner Bormann: Die Welt hat sich verändert. Hohe Komplexität und hohe Dynamik in der Wertschöpfung sind zur Normalität geworden. Das ist weder gut noch schlecht – es ist halt einfach so. Und dennoch ist tayloristisches Management nach wie vor das Standardmodell der Unternehmensführung – ein hierarchisch-bürokratisches Modell der Vergangenheit. Was Unternehmen aber für ihre Zukunftsfähigkeit brauchen, ist ein Change Management, das die Menschen mitnimmt, und das auf einem organisationalen Denken aufbaut.
Was meinen Sie mit organisationalem Denken?
Immer schnellere Innovationszyklen, die weiter fortschreitende Globalisierung, noch mehr neue Kommunikationswege, das alles setzt die Unternehmenssteuerung unter Druck, die Intelligenz ihrer Organisation zu aktivieren. Die Unternehmensorganisation muss sich weg vom Taylorismus hin zum Netzwerk entwickeln. Diese Erkenntnis ist in der Breite noch nicht akzeptiert, hier sehe ich unseren Berufsstand in der Pflicht zur Aufklärung.
Bevor wir zu den Herausforderungen kommen, eine kurze Standortbestimmung: Wo steht das Change Management 2015?
Sehr häufig wird Change Management in die esoterisch-psychologische Ecke gestellt, und dann kommt der Satz: Für so etwas haben wir keine Zeit und kein Geld. Und wenn man sich darauf einlässt, dann wiederum sehr häufig auf Ebene der Personalabteilung. Dem liegt ein großes Missverständnis zugrunde: Viele glauben, im Change Management geht es darum, dass es den Menschen im Unternehmen besser geht. Es geht aber schlicht und ergreifend darum, die Unternehmensorganisation zukunftsfit, sprich: das Unternehmen erfolgreicher zu machen. Deshalb muss Change Management auf Geschäftsleistungsebene beziehungsweise im Top-Management aufgehängt sein und eben nicht im Personal.
Wie definieren Sie Change Management?
Immer dann, wenn Organisationen, wie ganze Unternehmen, Abteilungen, Gruppen oder Teams, bewusst eine systematische Veränderung vornehmen und dieser Wandel bewusst reflektiert und gesteuert wird, sprechen wir von Change Management. Kern ist die Frage, wie Veränderungsprozesse in Organisationen organisiert werden. Ziel dieser Veränderungsprozesse ist die Lösung von Businessproblemen und die Weiterentwicklung der Organisation. Change Management ist eine vernetzte, ganzheitliche Unternehmensaufgabe, die von der Symptombehandlung zur Auflösung erstarrter, behindernder Strukturen und Haltungen führt. Zugrunde liegt das Modell von der Organisation als soziales System, weshalb die Kommunikation zwischen den beteiligten Menschen der Schlüssel zum Erfolg ist. Dabei unterliegen die Veränderungsmodelle selbst einem Wandel …
… und damit sind wir bei den Herausforderungen für die Veränderungsberatung.
Das Veränderungsmodell des Industriezeitalters unterscheidet sich vom Veränderungsmodell des Wissenszeitalters. Im eher trägen Industriezeitalter der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts begnügte man sich mit dem Auftauen erstarrter Organisationen beziehungsweise Prozesse. Heute reichen „einfache“ Projektmanagementmethoden im Change Management nicht mehr aus. Früher oder später sehen die Unternehmen sich einem permanenten oder zumindest episodischen Veränderungsprozess gegenüber, Stichwort: innovierende Organisation.
Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie im Change Management?
Die Projektgrößen werden kleiner und die Anforderungen der Kunden gehen immer mehr in Richtung Umsetzungsberatung mit großer Fertigungstiefe. Dem gegenüber steht die klassische Gutachterberatung, wie ich sie nenne, und vor allem die großen Beratungen tun sich schwer mit dem Wandel zur Umsetzungsberatung. Beratungsunternehmen, die sich auf diese neuen Anforderungen konzeptionell und methodisch einstellen und die das Know-how in der Umsetzung mitbringen, sehe ich im Vorteil. Davon unabhängig würde ich ein Fragezeichen hinter die Branchen- oder Themenspezialisierung von Change-Beratungen setzen. Kunden wollen das oft so. Aber Organisationsveränderung ist zunächst einmal branchenunabhängig. Was natürlich nicht heißt, dass Branchenkenntnis nicht sinnvoll ist. Viel wichtiger aber ist, dass Change Management selbst schnell und flexibel zu reagieren in der Lage ist, denn Wandel hat immer auch eine Eigendynamik und kann einen völlig anderen Verlauf nehmen als ursprünglich vorgesehen. Denn es geht ja immer auch darum, die Menschen und die Kultur und Kommunikation im Unternehmen mit einzubeziehen. Das übrigens verstehen wir im Fachverband Change Management unter „Change geht anders“: die Verbindung von harten und weichen Faktoren.
Change Management sieht sich der Kritik gegenüber, nicht wirtschaftlich zu sein.
Was widerlegt ist: Change Management bringt einen Return of Invest, und Veränderungsprojekte mit professionellem Change Management sind signifikant wirtschaftlicher. 70 Prozent der Change-Projekte ohne professionelle Steuerung erreichen ihre Ziele nicht. Es wäre fatal, wenn sich das in einem Verzicht auf Organisationsveränderung niederschlagen würde – Erstarrung kann sich kein Unternehmen mehr leisten. Ich hoffe sehr, dass sich die Arbeit des Fachverbandes Change Management diesbezüglich ausbezahlt und wir über die Vermittlung dessen, was Change Management zu leisten vermag, Marktchancen für unseren Berufsstand eröffnen. Und Unternehmen auf dem Weg zur passenden Organisation für die Herausforderungen von Morgen effizient zur Seite stehen können.
Stichwort Morgen: Wo wird Change Management in zehn Jahren stehen?
Ich bin sicher: In zehn Jahren wird Change Management keine Einzeldisziplin mehr sein, sondern das zentrale Know-how in der Unternehmensberatung sein. Denn den Unternehmen wird bis dahin gar nichts anderes übrig bleiben, als die Intelligenz in ihrer Organisation bestmöglich zu aktivieren. Die Wissensgesellschaft muss Innovationsprozesse anders organisieren, und die Unternehmen werden Vorreiter in dieser Entwicklung sein müssen, um den Anschluss an den Weltmarkt halten zu können. Kurz gesagt: Unternehmen werden völlig anders vorgehen müssen als heute. Und für die Herausforderungen in der Organisationsveränderung brauchen sie Veränderungsberatung.
Zur Person:
Hans-Werner Bormann ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden und seit 2013 Vorstandsvorsitzender des Fachverbands Change Management im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e.V. (BDU). Als Elektromechaniker und Diplom-Wirtschaftsinformatiker kam Bormann von der technischen Seite in die Beratung. 1998 gründete der ausgebildete systemische Organisationsberater mit drei Partnern die WSFB, die als Besonderheit bis heute auch Beraterweiterbildung anbietet. Bormann liegt die kontinuierliche Entwicklung des Beratungsstandards am Herzen und die Implementierung eines Verständnisses von Change Management, das harte und weiche Faktoren integriert. Bormann ist Lehrbeauftragter der Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft, wo er über die „innovierende Organisation“ doziert.
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