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Interview mit Jennifer Reckow.

06.10.2015

dialogprozess arbeiten 4.0 – Arbeit weiter denken

Als Spezialist für Veränderungsprozesse beschäftigt sich processline intensiv mit dem Thema Arbeit 4.0, denn Automatisierung, Digitalisierung, Crowd- und Clickworking verändern Unternehmen rasant. Die digitale Revolution schafft neue Märkte, Produkte und Arbeitszeitmodelle für Beschäftigte und Unternehmen. Arbeiten 4.0 bietet Chancen und birgt Risiken, weckt Hoffnungen und schürt Ängste. Es geht auch darum, auf Basis des Leitbilds „Guter Arbeit“ vorausschauend die sozialen Bedingungen und Spielregeln der künftigen Arbeitsgesellschaft zu thematisieren und mitzugestalten. Jennifer Reckow, Geschäftsführerin von processline, berät mittelständische Unternehmen in Veränderungsprozessen und kennt die Fragestellungen zur Optimierung von Geschäftsprozessen, Einführung von Prozessmanagement, Integration neuer Geschäftsfelder, Dienstleistungen und Produkte sowie Einführung neuer IT-Systeme nur allzu gut.

Wie wird sich der zu erwartende digitale Strukturwandel auf den Mittelstand und Beschäftigte auswirken?

Jennifer Reckow, Geschäftsführerin von processline:
Die Digitalisierung ist global zu betrachten, es geht hier u. a. darum, dass es zukünftig nicht mehr wichtig sein wird, wo produziert wird, sondern nur noch wie und wohin. Die logistischen Fragen werden wir nicht so schnell beantworten können, jedoch werden die Produktionsorte immer näher an den Konsumenten bzw. Bedarfsträger rutschen.

Dies birgt die Herausforderung, dass zum einen eine globale Transparenz notwendig wird, um die Qualität und den Service überall gleichermaßen bereitzustellen und zum anderen, dass jeder im Unternehmen, ob Unternehmensleitung, Führungskraft oder Mitarbeiter, zukünftig an jedem Ort auf der Welt Zugriff auf alle Daten haben möchte. Somit wird eine Vernetzung der IT-Systeme unumgänglich und jeder Mitarbeiter benötigt ein Grundverständnis für den Umgang damit.

Unabhängig von der Notwendigkeit, dass der Mittelstand seinen Rückstand in der IT-Reife nachholt, wird aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und den damit verbundenen höheren Anforderungen an die Arbeitnehmer sowie höherer Aufgabenkomplexität die Arbeitszeit zukünftig nicht mehr das entscheidende Kriterium für Leistung sein. Hierauf müssen sich Organisationen einstellen und Maßnahmen ergreifen, um ihre Mitarbeiter und die Organisation an sich in allen Handlungsfeldern weiterzuentwickeln.

Und um es noch komplexer zu gestalten, fordert die digitalisierte Arbeitswelt von Organisationen und insbesondere von Führungskräften aus der Generation X und früher ein radikales Umdenken in Richtung Führungskultur auf Augenhöhe und hierarchiefreie Organisationsstrukturen. Wer diesen Wandel nicht vollzieht, wird von der Generation Y und Z („Digital Natives“) nicht mehr akzeptiert werden, und gefährdet somit Wachstum, Erfolg und letztendlich seine Existenz.

 

Welche Chancen aber auch welche Risiken bringen die technologischen Weiterentwicklungen in einer digitalisierten Arbeitswelt von morgen für Unternehmen und Mitarbeiter mit sich?

Jennifer Reckow:
Komplexität an sich ist eine Chance, vorausgesetzt sie wird als solche erkannt und nicht mit kompliziert verwechselt. Um komplexe Situationen und Organisationen sicher und nachhaltig zu bewältigen, ist Abstand notwendig. Je weniger detaillierte Vorgaben existieren, desto erfolgreicher wird mit der Situation umgegangen. Studien belegen mittlerweile, dass Organisationen, die den Sprung in die evolutionäre Organisationsform geschafft haben, um mehr als 30% effizienter sind. Jedoch sind die Regeln in diesen Entwicklungsstufen nicht zu unterschätzen. (Erfahren Sie hier mehr über die Entwicklungsstufen)

 

Wie kann in einer modernen Arbeitswelt die Teilhabe und Teilnahme von Beschäftigten so gestaltet werden, dass die Erwartungen und Fähigkeiten der Beschäftigten und die Herausforderungen für Unternehmen gleichermaßen berücksichtigt werden?

Jennifer Reckow:
In unseren Projekten entwickeln unsere Kunden ihre zukünftige Organisationsform selbstverantwortlich. Es gibt keine Blaupause mehr. In der neuen Welt ist es notwendig, dass all diejenigen, die wollen, sich an der Veränderung beteiligen können und gleichberechtigt gehört werden.

Selbstverständlich entscheidet jede Unternehmensleitung, welche Entwicklungsstufe gerade die richtige und erstrebenswerte ist, denn nicht jedes Unternehmen ist schon reif für jede Stufe. Jedoch ist es unter Berücksichtigung der neuen Arbeitswelt und den Rahmenbedingungen zielführender, sich auf eine evolutionäre Organisation vorzubereiten. Hierzu werden alle vorherigen Stufen durchschritten und dies sollte geplant und gesteuert werden, damit am Ende kein Chaos entsteht. Für jede Stufe sind Vorbereitungen notwendig und jede Stufe benötigt in der Vorgehensweise andere Methoden und Tools. Diese sollte die Unternehmensleitung kennen und gezielt einsetzen.

 

In welchen gesellschaftlichen Bedarfsfeldern und Branchen kann in Zukunft neue Beschäftigung entstehen?

Jennifer Reckow:
In unserer Gesellschaft nimmt der Anteil der Menschen, die selbst Hand anlegen wollen, rapide ab. Somit wird es immer mehr Menschen geben, die sich damit beschäftigen, wie wir unser Leben und unsere Arbeit angenehmer gestalten können. Es gibt eine Theorie, die besagt, dass 60% der in zehn Jahren existierenden Berufe heute noch nicht vorhanden sind. Hier wage ich keine weitere Hypothese.

 

Welche staatliche Unterstützung (Infrastruktur, Forschung, Nachfrageförderung, Finanzierung etc.) ist ggf. erforderlich?

Jennifer Reckow:
Wer mich und meinen Weg kennt, weiß, dass ganz vorne die Breitbandverfügbarkeit steht. Wir werden in der globalen Entwicklung massiv verlieren, wenn wir es nicht schaffen, den ländlichen Raum mit vernünftigen Bandbreiten auszustatten.

Unser Mittelstand ist gespickt mit „Hidden Champions“, die alle auf dem Land ihre Produktionsstätte haben. Und unsere Arbeitsplatz- und Zeitmodelle bedürfen einer angemessenen Anbindung zuhause, um dies überhaupt realisieren zu können und hier ist für mich der Staat verantwortlich. Internet und Telekommunikation gehören heute zur Grundversorgung. Hier wurde in den letzten Jahren viel verschlafen. Die geplanten Investitionen und Maßnahmen reichen definitiv nicht aus.

Ein weiterer Punkt ist die generelle Überprüfung unseres Arbeitsrechts und des Kündigungsschutzes sowie des Arbeitszeitgesetzes. Auch hier ist Flexibilität notwendig, um der Komplexität gerecht zu werden.

So wie in den Organisationen ist auch hier Abstand und weniger Vorgabe im Detail entscheidend, um Freiräume zu lassen. Es ergibt keinen Sinn, weiterhin auf der untersten Detailebene über Recht und Gesetzt zu streiten und unsere Gerichte zu überhäufen mit Arbeitsgerichtsklagen, von denen weit über 90% durch Vergleiche geklärt werden.

 

Welche Qualifikationen werden in Zukunft gebraucht?

Jennifer Reckow:
Die heute notwendigen Qualifikationen werden ergänzt um das selbstverantwortliche Handeln und das vernetzte Denken. Wer heute nur noch seinen Claim abstecken will, und das für die nächsten 40 Jahre, wird nicht zukunftssicher beschäftigt sein.In den neuen Organisationen der Arbeitswelt 4.0 werden die Menschen sich als Teil des Ganzen sehen, um sich auch vollständig einbringen zu können. Denn Arbeit wird nicht mehr etwas sein, das vom übrigen Leben getrennt wird, sondern etwas, das das eigene Leben bereichert. Und jeder, der es möchte, wird sich darin auch selbst verwirklichen.

 

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