Verbindlichkeit entsteht nicht durch Workshops, sondern gute Entscheidungsarchitektur
„Christian, unsere mittlere Führungsebene hat ein Problem mit Entscheidungsverbindlichkeit im S/4HANA-Projekt …“
In vielen Projekten klingt es so oder ähnlich: „Getroffene Entscheidungen des Lenkungskreises werden hintenrum ausgehebelt, zurückgezogen oder ignoriert. Wir haben Workshops zu Führung und Verantwortung gemacht, Einzelcoachings für kritische Führungskräfte aufgesetzt und mit externen Beratern an einer neuen Führungsleitlinie gearbeitet. Doch irgendwie bringt das alles nichts …“
Was auf den ersten Blick logisch und konsequent erscheint, das Problem bei den Menschen zu suchen und dort mit Coachings und Werten anzusetzen. erweist sich in der Praxis oft als ineffektiv. Spätestens nach drei bis vier Wochen sind viele der alten Muster zurück.
Warum? Weil das eigentliche Problem nicht auf der persönlichen Ebene liegt, sondern in der Struktur und Dynamik des Systems.
Systemische Beobachtung statt vorschneller Intervention
Um Muster zu erkennen, muss man nicht gleich verändern, sondern zuerst beobachten.
Deshalb habe ich als Berater in diesem Fall vier aufeinanderfolgende Sitzungen des Lenkungskreises begleitet. Das Ergebnis war überraschend:
- Die Besetzung der Meetings war gut.
- Die Entscheidungsgrundlagen waren sauber vorbereitet.
- Die Diskussionen verliefen sachlich und zielorientiert.
- Nach rund 20 Minuten wurde jeweils eine Entscheidung getroffen.
Und doch: Kaum zwei Wochen später wurden die getroffenen Entscheidungen wieder infrage gestellt oder sogar rückgängig gemacht. Die Verbindlichkeit fehlte weiterhin.
Warum klassische Ansätze Entscheidungsverbindlichkeit nicht sichern – Was wirklich gefehlt hat
Nicht Mindset.
Nicht Werte.
Nicht Motivation.
Was fehlte, war Zeit für Konsequenzbewusstsein. In den Meetings wurde zwar formal entschieden, doch ohne ausreichend Raum, um die Auswirkungen dieser Entscheidungen für den eigenen Bereich durchzudenken. Viele Führungskräfte gaben ihr „Ja“, obwohl sie bereits innerlich zögerten, nicht aus bösem Willen, sondern weil der Entscheidungsprozess diesen Schritt schlicht nicht vorgesehen hatte.
So kann Entscheidungsverbindlichkeit systemisch gestärkt werden
Als die Organisation dies erkannte, wurde der gesamte Ansatz zur Lösung des Problems neu gedacht.
Die simple, aber wirksame Lösung:
- Entscheidungen werden nicht mehr im gleichen Termin getroffen, in dem sie diskutiert werden.
- Stattdessen werden Themen zunächst vorgestellt und diskutiert.
- Die tatsächliche Entscheidung erfolgt im darauffolgenden Meeting.
Das verschafft allen Beteiligten die notwendige Zeit zur Reflexion. Und erst dann entsteht echte Verbindlichkeit.
Ergebnis: Stabile Entscheidungen ohne Rückzieher. Entscheidungsverbindlichkeit wurde zur Norm.
- Coachingmaßnahmen und Workshopreihen wurden eingestellt
- Die Organisation sparte Zeit und Budget
- Die Entscheidungskultur verbesserte sich spürbar
- Rücknahmen von Entscheidungen gehören seitdem zur Ausnahme
- Das Projekt gewann deutlich an Stabilität und Klarheit
Theoretischer Hintergrund zur Intervention
In komplexen Organisationen funktionieren viele Prozesse nach Mustern, die sich nicht mit „mehr Motivation“ oder „neuen Werten“ aufbrechen lassen. Stattdessen braucht es Raum für systemische Selbstreflexion und den Mut, strukturelle Ursachen zu erkennen.
Oft scheitert Entscheidungsverbindlichkeit nicht am Menschen, sondern an zu kurzen oder schlecht gestalteten Entscheidungsprozessen. Wenn Organisationen lernen, Entscheidungsvorbereitung und -verantwortung voneinander zu trennen, entstehen robustere Ergebnisse, ohne Zwang und ohne symbolische Pseudo-Maßnahmen.
Ihr Christian Sahr
————————————————-
Über diese Kolumne
In unserer Reihe „Aus dem Leben eines Beraters“ geben unsere Beratenden persönliche Einblicke in ihren Arbeitsalltag. Sie schildern konkrete Situationen, Herausforderungen und Erfahrungen aus Projekten – und zeigen, wie sie diese im Sinne unserer Kunden gemeistert haben.
👉 Zum Beraterprofil von Christian Sahr
Jetzt abonnieren und Sie erhalten die Print-Version der Newsline bequem per E-Mail.
Neueste Posts
- Verbindlichkeit entsteht nicht durch Workshops, sondern gute Entscheidungsarchitektur
- Veränderung gestalten: Jennifer Reckow im TransformationsTheater-Podcast
- Chance oder Risiko: die neuen Entgelttransparenz-Regeln zwingen Unternehmen zum Handeln
- Projekttermine ohne Beteiligung: und jetzt?
- VKU-Stadtwerkekongress 2025: Zukunft entsteht dort, wo Entscheider heute den Mut haben, ihre Organisation neu zu denken
Kategorien
- News (204)
- Archiv 2013 (42)
- Archiv 2014 (18)
- Archiv 2015 (22)
- Archiv 2016 (21)
- Archiv 2017 (12)
- Archiv 2018 (9)
- Archiv 2019 (11)
- Beste Berater (4)
- Change-Management Qualifizierung (6)
- Corona-Krise (4)
- Fit für PostCorona (2)
- newsline (33)
- processline Webinare (2)
- Soziales Engagement (1)
- Unkategorisiert (1)