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„Sie haben kein Projekt!“ – Warum viele Vorhaben scheitern, bevor sie richtig starten

25.09.2025

„Herr Lehmann, wir dürfen den Go-live nicht schon wieder verschieben.“

Dieser Satz fiel an einem Morgen im Juni. Der Geschäftsführer eines Krankenhauses mit rund 350 Betten saß mir gegenüber. Ein Jahr zuvor war der geplante Wechsel des Krankenhausinformationssystems (KIS) bereits gescheitert. Die neue Lösung war nicht einsatzfähig, das alte System musste weiterlaufen. Und jetzt drohte sich das Szenario zu wiederholen.

Was war passiert?

Die Stimmung war angespannt. Der Geschäftsführer hatte mich gebeten, den Status des Projekts zu prüfen – möglichst schnell, möglichst ehrlich.

Noch am selben Tag sollte ich dem erweiterten Führungskreis meine Einschätzung geben.

Ich verbrachte den Tag damit, das Projekt zu durchleuchten. Ich stellte viele Fragen:

  • Wie sieht das Projekt strukturell aus?
  • Welche Gremien sind beteiligt?
  • Wie viele Teilprojekte gibt es und wofür stehen sie jeweils?
  • Wer ist aus den Fachbereichen eingebunden?
  • Welche Ziele verfolgen die Teilprojekte?
  • Welche Berichts- und Entscheidungswege existieren?
  • Wie wird das Risikomanagement gehandhabt?
  • Ist der Projektplan angesichts der vorhandenen Ressourcen überhaupt realistisch?

Ich führte Gespräche mit Schlüsselpersonen aus der IT und den Fachabteilungen, ließ mir Dokumente zeigen und bekam tatsächlich die Zeit und Offenheit, die ich brauchte.

Die ehrliche Diagnose

Am Nachmittag saßen wir wieder im selben Kreis wie morgens. Der Geschäftsführer fragte:

„Herr Lehmann, wie steht’s denn um unser Projekt?“

Meine Antwort:

„Welches Projekt? Sie haben kein Projekt.“

Es war nicht das, was man sich erhofft hatte – aber es war die Wahrheit. Es gab Teilprojekte, Aufgaben, Meetings. Aber keine klare Struktur, kein gemeinsames Zielbild, keine durchgängige Steuerung. Kein Projekt im eigentlichen Sinn.

Der Neustart – mit Struktur und Wirkung 

Daraufhin wurde ich beauftragt, das Projekt zu restrukturieren mit einem klaren Ziel: Bis zum Jahreswechsel sollte das neue KIS in Betrieb gehen.

Dafür wurde das Projekt auf das Wesentliche reduziert: Aus ursprünglich 18 Teilprojekten wurden 14. Das entlastete das Krankenhaus, der Systemanbieter konnte seine Ressourcen gezielter bündeln.

Wir richteten eine Task Force ein. Es gab feste Jours fixes, klare Entscheidungsstrukturen, definierte Rollen und transparente Kommunikation. Und ein gemeinsames Verständnis: Jeder Beitrag zählt – aber nur, wenn alle in die gleiche Richtung arbeiten.

Der Moment danach

Am 23. Dezember verabschiedete ich mich vom Geschäftsführer in den Urlaub.

„Wie, Sie lassen mich jetzt allein?“ fragte er überrascht.

Meine Antwort:

„Wenn sich der Erfolg zum Jahreswechsel nicht einstellt, dann hat das Projekt seine Wirkung nicht entfalten können, egal ob ich hier bin oder nicht.“

Am Neujahrstag hatte ich eine Nachricht auf der Mailbox.

Der Geschäftsführer bedankte sich. Die Task Force hatte den erfolgreichen Systemwechsel gemeinsam mit dem Anbieter auf dem Hubschrauberlandeplatz gefeiert.

Warum eine externe Sicht so wichtig ist 

Oftmals ist es hilfreich, sich die Gesamtsituation als Außenstehender zu betrachten und zu bewerten. Die Komplexität, mit der das Projekt zu kämpfen hatte, auf das zu reduzieren, was wirklich notwendig war. Und dann zu entscheiden: Was sind die Schritte, um das gesetzte Ziel in 6 Monaten zu erreichen? Was steht im Weg? Was muss wegfallen, was braucht Struktur? 

Darauf wurde das gesamte Projekt neu ausgerichtet und genau deswegen bin ich auch in den Urlaub gegangen, weil ich genau wusste, dass nicht ich der Ausschlaggebende Erfolg sein werde und nicht bis zum Jahreswechsel vor Ort sein muss. Nicht ich habe den Erfolg gebracht – sondern das Team vor Ort. Die Projektmitarbeitenden auf Klinikseite ebenso wie beim Systemanbieter. Sie konnten den Erfolg erreichen, weil sie einen klaren Rahmen, realistische Prioritäten und eine verlässliche Steuerung hatten. Manchmal braucht es dafür nur jemanden, der die Richtung aufzeigt.

Fazit: Ein Projekt ist mehr als ein Titel auf dem Papier 

Viele Vorhaben nennen sich Projekt, doch sie erfüllen nicht die Mindestkriterien, um erfolgreich gesteuert zu werden. Klare Ziele, definierte Rollen, abgestimmte Abläufe, funktionierende Kommunikation: Ohne das bleibt nur Aktivität, aber keine Wirkung. Wenn man das erkennt und den Mut hat, ehrlich hinzusehen, kann auch ein scheinbar gescheitertes Projekt zum Erfolg werden.

 

Ihr Holger Lehmann
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Über diese Kolumne
In unserer Reihe „Aus dem Leben eines Beraters“ geben unsere Beratenden persönliche Einblicke in ihren Arbeitsalltag. Sie schildern konkrete Situationen, Herausforderungen und Erfahrungen aus Projekten – und zeigen, wie sie diese im Sinne unserer Kunden gemeistert haben.

👉 Zum Beraterprofil von Holger Lehmann

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